Was die Mindestlohn-Erhöhung auf zwölf Euro für bestehende Branchentarifverträge bedeutet

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Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, dass der Mindestlohn im Jahr 2022 auf 12 €/h steigen soll. Heil spricht von Leistungsgerechtigkeit. Dem ist nicht zu widersprechen, allerdings gerät sein Vorhaben in einen Konflikt mit bestehenden Branchentarifverträgen. Viele Branchenmindestlöhne liegen zwar über dem derzeitigen gesetzlichen Mindestlohn (9,82 €/h), aber unter den anvisierten 12 €/h. Sie sollten auch nicht so schnell steigen. Das Arbeitsministerium hatte erklärt, dass diese Branchenmindestlöhne für alle Unternehmen einer Branche gelten sollten, auch für diejenigen, die sich nicht der Tarifgemeinschaft angeschlossen haben.

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Foto: Bits and Splits/stock.adobe.com

Beispiele für Branchenmindestlöhne

Nachfolgend einige relevante Beispiele für Branchenmindestlöhne, die vom neuen gesetzlichen Mindestlohn abrupt überboten würden:

  • Gebäudereiniger: Die fast 700.000 Beschäftigten erhalten seit dem 01.01.2022 einen Branchenmindestlohn von 11,55 €/h und damit 18 % mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Eine weitere Erhöhung auf 12 €/h war für Januar 2023 angedacht. Der Bundesinnungsmeister der Branche Thomas Dietrich kritisiert die Pläne von Heil scharf. Sie würden ein Aussetzen der Tarifautonomie ebenso wie die Sabotage der Mindestlohnkommission und ihrer Arbeit bedeuten. Wenn ein Mindestlohn von 12 €/h kommen soll, dann möglichst nicht vor dem 01.01.2023, so Dietrich, der die Vertreter zahlreicher anderer Branchen hinter sich weiß.
  • Dachdecker mit Ausbildung haben seit dem 01.01.2022 einen Branchenmindestlohn von 14,50 €/h.
  • Bei den Malern und Lackierern sind es 11,40 €/h für ungelernte und 13,80 € für gelernte Mitarbeitende.
  • Steinmetze verdienen seit Jahresanfang 12,85 €/h und warten auf die nächste Erhöhung im August.
  • Friseur*innen werden erst im Juni 2022 einen Mindestlohn von 10,45 €/h erreichen.
  • Im Bauhauptgewerbe beträgt der Branchenmindestlohn 12,85 €/h.
  • Manche Tarifverbände wie die Metallindustrie zahlen jetzt schon deutlich über den anvisierten 12 €/h.

Auswirkungen auf die Zeitarbeit

Der Mindestlohn wurde in der Zeitarbeit schon 2012 – vor dem Inkrafttreten eines gesetzlichen Mindestlohns (ab 2015) – eine allgemeine Lohnuntergrenze eingeführt. Die Basis bot hierfür das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Diese Untergrenze liegt im Januar 2022 bei 10,45 €/h. Vereinbart wurde sie Ende 2019 im Mindestlohntarifvertrag zwischen den beiden Branchenverbänden BAP und IGZ sowie der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Laut Verordnung des Arbeitsministeriums ist auch in der Zeitarbeitsbranche diese Lohnuntergrenze für alle, auch die nicht tarifgebundenen Unternehmen, verbindlich. Diese Verordnung läuft Ende 2022 aus. Die Firmen haben sich darauf eingestellt und kalkulieren dementsprechend. Im April 2022 wäre nun eine Erhöhung auf 10,88 €/h fällig. Sie läge über dem derzeit geltenden gesetzlichen Mindestlohn, der nach der bisherigen Vorlage der unabhängigen Mindestlohnkommission am 01.07.2022 auf 10,45 €/h steigen soll. In der Zeitarbeitsbranche wartet man jetzt gespannt auf den Gesetzentwurf von Hubertus Heil. Die Branchenvertreter sind sich allerdings darüber einig, dass ein neuer gesetzlicher Mindestlohn von 12 €/h ihre Branche und deren Lohnverhandlungen stark beeinflussen werde, so der BAP-Hauptgeschäftsführer Florian Swyter (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister).

Auswirkungen in Branchen, die jetzt schon mehr als 12 €/h zahlen

Wie oben ersichtlich zahlen einige Branchen jetzt schon über 12 €/h Mindestlohn. In diesen Branchen erwarten Experten einen Einfluss auf künftige Tarifverhandlungen, weil der gesetzliche Mindestlohn eine Benchmark darstellt. Ein Beispiel: Wenn die Dachdecker derzeit mindestens 14,50 €/h verdienen, so liegt das um 32,3 % über dem gesetzlichen Mindestlohn von 9,82 €/h. Sollte dieser auf 12 €/h steigen, könnten die Dachdecker künftig 15,88 €/h als Branchenmindestlohn verlangen. Da dies für viele Arbeitgeber zu viel ist, könnte prinzipiell das System der Branchenmindestlöhne hinterfragt werden. Diese werden sehr fein austariert und sollen den Arbeitsbedingungen in einzelnen Branchen (zum Beispiel der körperlich schweren und gefährlichen Arbeit von Dachdeckern), aber auch der Zahlungsfähigkeit der Arbeitgeber gerecht werden. Diese feine, alljährlich neu verhandelte Balance geriete mit einer relativ abrupten Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von 9,82 auf 12 €/h, also immerhin um 18,2 %, aus den Fugen.

Fazit

Der Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geht nicht vollständig auf die komplexen Rahmenbedingungen der Branchenmindestlöhne ein. Diese wurden über Jahrzehnte immer wieder neu verhandelt und tragen zum sozialen Frieden bei. So ein System sollte nicht ohne Not durch eine drastische Mindestlohnerhöhung ausgehebelt werden.

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